Gabriele Hennicke

freie Journalistin · Textbüro
· Öffentlichkeitsarbeit & PR

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Strohmanufactur

Strohflechterei – eine Tradition lebt weiter

 

Als Kind hat Ingrid Schyle noch in der damaligen Strohhutfabrik Sauter Fastnachtshüte gekauft. Heute führt sie stolz durch die gerade neu eröffnete Strohmanufactur mitten in dem kleinen Städtchen Schonach im Mittleren Schwarzwald. Dazwischen liegen 50 Jahre und eine Jahrhunderte alte Geschichte.

Die Strohflechterei gilt als einer der ältesten Industriezweige des Schwarzwalds, hervorgegangenen aus Heimarbeit. Aus dem langhalmigen Roggen, der auch auf 1000 Metern Meereshöhe als Brotgetreide angebaut wurde, wurden schon im 17. Jahrhundert Strohbänder geflochten, aus denen sich Hüte, Tasche, Strohschuhe und Bienenkörbe herstellen ließen. Durch die Strohflechterei trugen Kinder, Frauen und Alte zum Unterhalt der Familie bei, denn die wirtschaftliche Not war in früheren Jahrhunderten sehr hoch.

Waren die Geflechte zunächst noch ziemlich grob, brachten findige Leute Anfang des 19. Jahrhunderts feinere Flechtmethoden aus Italien und der Schweiz in den Schwarzwald. „Diese wunderschönen feinen Flechtwerke wurden aus den gespaltenen Halmen hergestellt. Der Roggen dafür musste unreif geerntet werden und stand somit nicht als Nahrungsmittel zur Verfügung. Dennoch gab es letztlich keine Alternative zur Herstellung der feinen Flechtarbeiten, die besseren Absatz versprachen“, sagt Ingrid Schyle, die sich seit etwa 20 Jahren intensiv mit der Strohflechterei beschäftigt.

Ein bedeutender Wirtschaftsfaktor

Anfang des 19. Jahrhunderts soll die Strohflechterei ein bedeutenderer Industriezweig gewesen sein, als die Schwarzwälder Uhrenindustrie. Die Glasträgerkompanien trugen die feinen Strohhüte und Strohwaren aus dem Schwarzwald hinaus in die Welt und es entstanden die ersten Strohhutfabriken. „Es war die Zeit, in der quasi niemand ohne Hut unterwegs war. Die in Heimarbeit hergestellten Strohbänder wurden in der Strohhutfabrik zu Hüten verarbeitet. Selbst der weltbekannte Schwarzwälder Bollenhut, dessen Unterbau ein eingegipster Strohhut ist, wurde in Schonach produziert“, sagt Ingrid Schyle und präsentiert beeindruckende Zahlen:  1810 waren in Schonach und Umgebung 1500 Mädchen und Frauen in der Strohflechterei beschäftigt. 1870 wurden in dem 2000 Seelen-Dorf wöchentlich 1200 Strohtaschen ausgeliefert. Als Gäste- und Naturparkführerin liegt der Erzieherin die Geschichte und Kulturgeschichte des Schwarzwalds und besonders die ihrer Heimatstadt Schonach am Herzen. Sie will sie für die Menschen der Gegenwart erlebbar machen.

So war es für Ingrid Schyle naheliegend, dass die Kinder der Dom Clemente Schule in Schonach, der ersten Naturparkschule Baden-Württembergs, seit 2011 Strohflechten lernen, so wie ihre Vorfahren auch. „Meine Oma war noch in der Geflechtschule. Ab etwa 1850 gab es überall im Schwarzwald solche Schulen, in denen die Kinder das Flechten lernten, natürlich auch in Schonach“, weiß Schyle. Eine Strohfabrik gab es in Schonach auch. 1863 gründete Ludwig F. Sauter im Jahre die Strohhutfabrik Sauter. Schon bald war sie eine der bedeutendsten im Schwarzwald. 1992 musste sie schließen. Ihr Inventar samt Maschinen und Original-Hüten lässt sich heute in der am Anfang Dezember 2023 eröffneten Strohmanufactur entdecken und bewundern.

Vor fast 20 Jahren hatten die Schonacher erstmals bei einem Museumstag die Gelegenheit, die einstige Strohhutfabrik zu besichtigen. Sie stand noch genauso da, wie zum Zeitpunkt der Schließung: Mit allem Inventar, Nähmaschinen, über 100 verschiedenen Hutformen und Hutpressen und unzähligen Hüten und anderen Flechtwaren made in Germany und made in China. Schon Ende des 19. Jahrhunderts kamen billigere Strohhüte aus China auf den deutschen Markt und der Niedergang der Strohhutindustrie begann. „Annemarie Sauter hatte lange versucht, die Produktion anzupassen und Fastnachtsartikel und Touristenware verkauft, auch Chinaware“, sagt Ingrid Schyle. Nach der Schließung der Fabrik 1992 blieb zunächst blieb alles, wie es war. Erst 2014 stellte sich für die Gemeinde Schonach die Frage, was mit dem Gebäude mitten in der Stadt passieren sollte. Es zeigte sich, dass es nicht zu erhalten war. 2016 gründete sich ein Förderverein, der zumindest das denkmalgeschützte Inventar der Fabrik rettete, schnell hatte er 140 Mitglieder. „Die Strohflechterei ist ein Identitätsfaktor in Schonach, der Bevölkerung war nicht egal, was mit der Fabrik passierte“, sagt Ingrid Schyle, die sich von Anfang an im Vorstand engagiert. Die Gemeinde Schonach überließ dem Verein Räume in einer ebenfalls leerstehenden früheren Drogerie und das Projekt Strohmanufactur wurde in Angriff genommen. In mühevoller Handarbeit haben die Frauen aus dem Vorstandsteam mit Unterstützung ihrer Männer und einiger Helfer aus der Gemeinde das Inventar gesichert, gereinigt und in die neuen Räumlichkeiten ein paar Häuser weiter umgezogen. Nicht nur die früheren Nähmaschinen, mit denen die Strohbänder zu Hüten vernäht wurden und die holzbefeuerten Hutpressen, sogar die alten Holzdielen aus der Fabrik fanden dort Platz.

Wenn die Schonacher Drittklässler heute das Strohflechten lernen, geht das so: Sie teilen die Roggenhalme an den Wachstumsknoten und gewinnen Strohhalme unterschiedlichen Durchmessers. Aus den eingeweichten Halmen flechten sie Strohbänder, wie dies schon über 100 Jahre zuvor die Kinder in der Schonacher Geflechtschule getan haben.

„Das 3er-Geflecht aus drei Halmen geht noch recht einfach, das 5er- oder 7er- Geflecht ist schon anspruchsvoller. Dann wird das Flechtstück durch die „Gflechtstriechi“, also die Geflechtwalze gedreht, was den Kindern viel Spaß macht. Wie gebügelt kommt das noch feuchte Stroh zwischen den Walzen heraus und kann dann weiterverarbeitet werden“, erläutert Ingrid Schyle und zeigt schnell mal, wie man ein 5er-Geflecht macht. Unvorstellbar, dass ein geflochtenes Strohband 32 Meter lang sein musste, bevor es an die Strohfabrik verkauft wurde. Zu einem Preis, für den man gerade mal zwei Laib Brot kaufen konnte.

Moderne Heimatkunde ist das Motto der Naturpark-Schulen und die Strohflechterei ist Heimatkunde pur. Wie ihre Vorfahren bauen die Kinder der dritten Klasse Roggen an, denn dieses Getreide wächst auf 900 Metern Höhe und seine Halme sind das Rohmaterial für die Flechtarbeiten. Die Kinder säen, ernten, schneiden und sortieren die Halme. Wenn die Kinder mühsam und geduldig ein Strohband flechten dann bekommen sie eine Ahnung vom Leben früherer Zeiten und lernen eine Menge. In jeweils zwei Modulen pro Schuljahr arbeiten die Schülerinnen und Schüler an Themen aus Natur und Kultur, die in engem Bezug zu ihrer Lebenswelt stehen. Wie verwandelt die Kuh Gras zu Milch? Wie kam der Kuckuck in die Schwarzwalduhr? Mit diesen und anderen Fragen beschäftigen sich die Kultur-, Wald- und Wiesenforscher der Klassen eins bis vier. Und zwar nicht nur theoretisch, sondern ganz praktisch und mit allen Facetten.

Die Strohmanufactur ist nicht nur ein Museum, sondern soll auch ein Ort der Begegnung werden. Hier finden in Zukunft der Unterricht im Strohflechten für die Grundschüler statt, sowie Kurse rund ums Strohflechten. „Wir haben viele Ideen, wir wollen die schönen Räume auf jeden Fall kulturell beleben, als Treffpunkt, Bildungseinrichtung und Kommunikationszentrum für Gruppen und Vereine“, sagt Fördervereinsvorsitzende Ingrid Schyle. Sie ist glücklich darüber, was dank vieler engagierter Menschen in Schonach gelungen ist. Auch nach so vielen Jahren ist sie immer noch vom Roggenstroh fasziniert. „Stroh ist ein tolles Material, es glänzt golden, ist nachhaltig und man kann so viel damit machen“, sagt sie.

 

 

 

 

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